Televisionen - die Normentwicklung im Fernsehen

Die Entwicklung von Fernsehnormen und Standards:

 

Warum haben wir in Europa 625 Zeilen und die warum die Amerikaner 525 Zeilen? 

 

Die 625/50 Fernsehrasternorm –

Ein über 60 Jahre alter sowjetisch-imperialer Exporterfolg?

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Nachtrag: Letzte Überarbeitung: 13.02.24

Inhaltsverzeichnis:

  1. Kurzzusammenfassung:

  2. Der geforderte Anspruch:

  3. Einleitung:

  4. Die Anfänge:

  5. Die Entwicklung:

  6. Die Standardisierung:

  7. Die Welt geeint?  

  8. Ein neuer Vorsprung in den USA:  

  9. Die bisherige Beschreibung der „Deutschen Entdeckung“ der 625 Zeilen in Verbindung mit der Wiederaufnahme des Fernsehdienstes nach 1945

  10. Die ersten westdeutschen Nachkriegsanfänge im Zusammenhang mit der Normenfindung:  

  11. 625 Zeilen stehen im Wettbewerb:  

  12. 625 Zeilen - Neue Erkenntnisse aus Russland:  

  13. Die Sowjetisch – Deutsche Verbindung  

  14. Die Deutschen Fernsehspezialisten in der UdSSR:  

  15. Die neue Norm – Das Resultat:  

Fazit:

Noch offene Ungereimtheiten - Eine Erklärung:  

625 Zeilen - Welche Alternativen hätte es für Europa gegeben?

 

Exkurs:

Der Amerikanische Einfluss auf das europäische Nachkriegsfernsehen  

Der technische Aufbau der US TV Norm

Zahlenspiele - Wie definieren sich die Zeilenzahlen?

Quellen/ Literatur:

Offene Fragen:

 

Kurzzusammenfassung:

Der Beitrag beleuchtet die verschiedenen Aspekte unter denen es Ende der 1940er Jahre zur Vorstellung und einer darauf erfolgten Einführung der 625/50 Fernsehnorm kam.

Bekannte Fakten wurden nochmals überprüft und mit bisher nicht zugänglichen (vorerst leider nur sekundär) Informationen verglichen und einer neuen Bewertung unterzogen. Die Leistung der Deutschen nach dem Krieg, sowohl in der besetzten Ost- wie auch Westzone, aber auch deren Arbeitsbeitrag in der UdSSR selbst kommt hier zum Vorschein. Ein Blick auf das damalige welt- und wirtschaftspolitische Umfeld und die amerikanischen Vorleistungen als Ausgangsbasis für die 625/50 Norm rundet die Betrachtung ab.

Der geforderte Anspruch:

Zeitgleich möchte der Autor auf das allgemeine Erfordernis einer Neubewertung und tieferer Erforschung der jüngeren europäischen Fernsehgeschichte hinweisen, denn auf der Suche nach einer möglichst umfassenden Gesamtübersicht hinsichtlich der Entwicklung der europäischen Fernsehtechnik wurde dem suchenden Autor bald klar das es eine solche noch nicht zu geben scheint.

Zu sehr war jede am Fortschritt des Fernsehens bemühte Nation auf die überproportionale Darstellung ihrer eigenen Entwicklung erpicht als das ein neutraler Gesamtüberblick jemals möglich scheint.

Hinzu kommen die sprachlichen Barrieren, die es in mühevoller Kleinarbeit nicht zuletzt mit Hilfe des Internets zu überwinden gilt.

Die Krönungen der Behauptungen sind aber dort zu finden wo „Das Fernsehen“ einer Einzelperson als grandiose Erfindung oft als Sohn der jeweils großen Nation zugeschoben werden sollte.

Auch ist es notwendig zwischen Ankündigungen und tatsächlichen Ereignissen zu Unterscheiden sowie die Begriffe „Die erste Fernsehübertragung .. „ etc. genau aufzuschlüsseln, um kenntlich zu machen was daran „das erste Mal“ war, um damals möglicherweise politisch motivierte Datierungen zu vermeiden. Bei Unstimmigkeiten oder Mehrfachnennungen wurden daher alle Daten gelistet.

Einleitung:

 

Einmal mehr erlauben uns die zeitliche Distanz wie auch die geänderten politischen Mächteverhältnisse auf längst selbstverständlich gewordenes ein neues Licht zu werfen. Wie kam es zum 625 Zeilen Fernsehbild das bis zum heutigen Tag wenn auch bereits zum Teil in digitaler Form einen Großteil unseres medialen Globus bedient.

Die Anfänge:

Die elektronische Wiedergabe von Fernsehbildern oder besser gesagt von dem was man damals dafür hielt begann mit der Braunschen Röhre.

100 Zeilen dienten Anfang der 1930er Jahre Manfred von Ardenne für die Vorführung seines Flying Spot Scanners - dem Lichtpunktabtaster und ebenso viele Zeilen sind auch von der Arbeit des Vaters des Japanischen Fernsehens Kenjiro Takayanagi 1931 überliefert.(10)

Die Entwicklung:

Nach und nach steigerte sich die Zeilenzahl auf zuerst 120 und später um 1935 auf 180 Zeilen was selbst innovative der Firma Loewe nahestehende deutsche Forscher bereits als ausreichende Qualität für das Fernsehen befanden und tatsächlich ein erster „Volksfernseher“ in Serie gehen sollte.

Bekannt aus jener Zeit das Großereignis der Olympischen Spiele 1936 mit eben 180 Zeilen.

In Frankreich und beim Britischen Erfinder J.L. Baird waren 240 Zeilen in progressiver Abtastung angesagt, während in den USA die RCA auf 343 Zeilen interlaced/ also im  Zeilensprungverfahren überging. Einen Standard den in der unmittelbaren Vorkriegs und Nachkriegszeit von 1938 – 1948 auch die UdSSR jedoch mit 50 Halbbildern anstelle den USA typischen 60 Halbbildern übernahm.

Die Standardisierung:

Zur Weiterentwicklung in Deutschland dienten ebenfalls bereits seit 1936 intern eine 375 Zeilen Norm die 1938 in die 441 Zeilen Norm mündete und  auch als endgültig verabschiedet wurde, was mit der geplanten offiziellen Einführung eines Publikumsbetriebes mit dem E1 Einheits- Fernseher mit Ende 1939 bestätigt wird. Televisionen E1 Deutscher Einheitsvolksfernseher Einheitsfernsehapparat 1939

Mit Juni 1938 galten auch in den USA 441 Zeilen als Standard – der bereits 1940 auch in Japan für die Übertragung der Olympischen Spiele in Tokio eingesetzt werden hätte sollen.

1939 exportierte Deutschland seine 441 Zeilen auch nach Italien wo in Rom ein mit Deutscher Ausrüstung ausgestattetes Studio errichtet wurde.

„Aus der Norm“ fielen bereits in der Vorkriegszeit die Briten mit ihren 405 Zeilen und die Franzosen mit 450/455 Zeilen.

Dieses Image pflegten diese Nationen fernsehtechnisch in ihrer härtesten Form bis in die 1960er Jahre und etwas moderater teilweise selbst noch bis heute.

Die Welt geeint?

Am Vorabend des 2. Weltkriegs waren also die USA, Japan, Deutschland, Italien und die UdSSR mit 441 Zeilen geeint.

Das bedeutete eine weitgehend vergleichbare Bildqualität in allen am Fernsehen beteiligten Ländern, wobei man bezogen auf die real erzeugbare Bildqualität die 405 Zeilen der Briten und die 455 Zeilen der Franzosen eigentlich gleichsetzen kann.

Eine praktisch ableitbare Kompatibilität zwischen der 50 und der 60 Hz Variante mit den damaligen Mitteln kann aber nicht abgeleitet werden.

Lediglich für den Europäischen Kontinent bleiben politisch orientierte Expansionspläne die letztendlich auch das Fernsehen als Trägermedium der jeweiligen Ideologie einschließen als Möglichkeit bestehen. So waren es sicher nicht rein exportwirtschaftliche Aspekte allein, dass sich Italien für 441 Zeilen entschied, während der um Unabhängigkeit bemühte Tschechoslowakische Staat das 405 Zeilen System der Briten angedacht hat. 

Ein möglicher geplanter völkerübergreifender Programmaustausch in einer Art Eurovision konnte für die Vorkriegszeit noch nicht nachgewiesen werden.

Ein neuer Vorsprung in den USA:

Während Europa fürs erste fernsehtechnische Entwicklungen zurückstellte, formierten sich in den USA erneut Kräfte, die Kritik am von der RCA geprägten 441 Zeilen Standard übten und gemäß den neuesten technischen Möglichkeiten und Forschungsergebnissen die FCC 1941 zur Normierung des 525/60 Standards nötigten der im wesentlichen bis heute gültig blieb. Mitgeliefert wurde ebenfalls ein 6 MHz Kanalbandraster im VHF Bereich für 13 Kanäle um auch mit dem Fernsehen demokratisch wahlberechtigten Pluralismus zu ermöglichen. In Verbindung mit der Standardisierung sind aber auch die Vorschläge von Philco mit dem Standard 605/24 und DuMont Television mit dem Standard 625/15 geprüft worden. Letzteres mit einem Bandbreite sparenden 4:1 zerlegtem Vollbild anstelle des uns bekannten 2:1 Halbbildverfahrens. 

Mit in die Kriegsjahre fallen überdies französische Forschungen mit 729 – 1.029 Zeilen (2 /S130) sowie die über 1.000 Zeilen der Deutschen Fernseh GmbH die überzeichnet formuliert die Kinderstube unseres heutigen 720/1080 Zeilen HDTVs darstellen.

Die bisherige Beschreibung der „Deutschen Entdeckung“ der 625 Zeilen in Verbindung mit der Wiederaufnahme des Fernsehdienstes nach 1945

Der Sowjet Auftrag:

Die allgemeine fernsehhistorische Geschichtsschreibung verweist im Wesentlichen auf (aufgrund des Alliierten Kontrollratsbeschlusses eigentlich nicht erlaubte) Anpassungen amerikanischer Fernsehstudioeinrichtungen aus den kriegsbedingten USA-UdSSR Lend-Lease Abkommen, die im Auftrag der Sowjetischen Besatzungsmacht auf europäische Verhältnisse angepasst werden sollten.

Niemand geringerer als Ing. Walter Bruch (der spätere Erfinder des PAL Farbübertragungssystems)  Deutscher Fernsehpionier Walter Bruch - Erfinder des PAL Farbfernsehsystems wurde 1945 mit dieser Aufgabe in Berlin-Oberschöneweide im ehemaligen Röhrenwerk RFO der AEG, später besser bekannt als „Oberspreewerk“ unter dem Sowjetischen Fernsehspezialisten Sergej Nowakowsky als Oberingenieur betraut.

 

Textauszug: „... kamen WIR(!) auf die Idee das amerikanische System komplett zu übernehmen und nur die Rasterwechselzahl... anzupassen...“ (5/S60)

Wobei Bruch davon spricht, das als Ausgangsbasis der Umarbeitung die Zeilenoszillatorfrequenz herangezogen wurde (3/S79):

Diese betrug bei 525 Zeilen und 60 Halbbildern = 30 Vollbildern: 15.750 Hz

Eine Umrechnung der 15.750 Hz auf 50 Halbbilder (Europäische Netzfrequenz) = 25 Vollbilder ergibt: 630 Zeilen.

Da eine gerade Zeilenzahl aus technischen Gründen für das aus ökonomischen Gründen erforderliche 2:1 Zeilensprungverfahren nicht empfehlenswert war, lag eine Verwendung von 625 Zeilen die genau um 100 Zeilen höher waren als beim amerikanischen System nahe. Die dann erhaltene Zeilenoszillatorfrequenz liegt bei 15.625 Hz, also nur unmerklich abweichend von der Amerikanischen.

Im September 1945 baute Bruchs Team noch einen 625/50 Taktgeber und Leuchtschirmabtaster mit Mechauprojektor. Mit Anfang 1946 waren seine maßgebenden Entwickler nicht mehr dort tätig und die Geräte wurden später von anderen Technikern fertiggestellt und nach Moskau geliefert. (3/S80)

„Für die drahtlose Übertragung knobelten WIR(!) dann eine optimale Kanalbandbreite von 8 MHz und einen Abstand des FM-Tonträgers zum Bildträger von 6,5MHz aus...“  (4/S60)

Soweit der Informationsstand aus Berlin – der sowjetisch Besetzten Zone.

Die ersten westdeutschen Nachkriegsanfänge im Zusammenhang mit der Normenfindung:

Als nächster „Westdeutsch“ Fernsehhistorischer Termin erscheint der 1.1. 1948 mit der Britischen Verordnung für den NWDR „Sprache, und wenn später möglich auch Bilder zu vermitteln........ „

Bereits am 13. August 1948 erfolgte die Zustimmung der Britischen Militärregierung mit ihrem Koordinator Mr. Carlton Greene dem späteren BBC Generaldirektor, die Arbeiten zur Weiterentwicklung am Deutschen Fernsehen vorzunehmen.

Der technische NWDR Direktor Werner Nestel der sich auch um die UKW Entwicklung und Einführung im Nachkriegsdeutschland bemüht gemacht hatte NWDR - UKW Rundfunk Walter Nestel

war dabei die treibende Kraft, und ausgestattet mit für damalige Verhältnisse großzügig bemessenen finanziellen Mitteln begann die Arbeit mit dem „Restpersonal der ehemaligen Reichspost-Fernsehgesellschaft“ (2/S147).

Und obwohl im britischen Sektor liegend, war man offensichtlich nicht durch dezidierte Weisungen an die britische 405 Zeilen Norm gebunden.

Der Telefunken Vorkriegsfernsehingenieur Rudolf Urtel gründete den sogenannten Ettlinger Kreis – einem Zirkel in dem mit Kollegen wie Rolf Möller und anderen rund 10 – (später werden ~30 genannt) Fernsehspezialisten der Vorkriegszeit Fachgespräche über fernsehentwicklungstechnische Details geführt und diskutiert wurde. Urtel war von November 1948 an bei der C. Lorenz AG im Werk Pforzheim als Entwicklungsleiter für Fernsehtechnik, Empfänger, Sender und Fernseh-Richtfunkübertragung tätig, bei der er unter anderem den ersten Taktgeber mit Testbild (Monoskop?) gebaut hatte.(5/S60)

Für die Zeit 1946 bis 1948 klafft jedoch eine Informationslücke betreff möglicher 625/50 Arbeiten in Deutschland. Bekannt geworden ist lediglich der von Horst Hewel um 1940 zu Amateurzwecken zusammengebaute Kamerazug mit peripheren Einrichtungen wie dem Taktgeber. Diese Apparate sind um 1948 von 441 auf die bereits von Nestels Expertenteam propagierte 625/50 Norm umgearbeitet und ergänzt worden. (5/S106)

Soweit die bisher bekannten Fakten die auf der CCIR Konferenz 1950 in die offizielle Gerber 625 Zeilen Norm mündeten die dann 1952 übernommen/ratifiziert wurde.

625 Zeilen stehen im Wettbewerb:

Die 400 Zeilen haben ausgedient

Zum Einen war klar, dass der während der Kriegsjahre gemachte Vorstoß der Amerikaner auf 525 Zeilen sowohl aus Imagegründen wie auch der tatsächlich qualitativen Unzulänglichkeiten eine Wiederaufnahme der alten 400 Zeilen Dienste nicht opportun erscheinen lies.

Die Britische Sonderrolle die als einzige Nation einen echten 405 Zeilen Vorkriegs Publikumsbetrieb mit 23.000 Fernsehlizenzen unterhielt, wollte diesen aus pragmatischen Gründen weiterführen was sie mit Sendestart am 7. Juni/ 1. September 1946 auch taten.

In Frankreich begann die Nachkriegszeit mit einem endlosen Zaudern über die Weiterführung der Vorkriegsstandards, der dann auch halbherzig wieder in Betrieb genommen wurde. Die gleichzeitige Nennung von 441, 450 und 455 Zeilen als Standard sprechen bei genauer Betrachtung Bände, in dessen Zusammenhang auf die geplante künftige Arbeit des Autors „La Television Francais - Frankreich: Ein nicht immer geradliniger Weg“ verwiesen sei.

Frankreich - Über das Ziel hinaus geschossen

Aus politisch-nationalen Gründen der De Gaulle Ära schied eine Übernahme von Anglo-Amerikanisch basierenden Standards aus und führte 1948 zum Dekret der Einführung eines ausschließlich von Franzosen entwickelten 819 Zeilen Standards. Und das mit bewusster Unterlassung der Implementierung aller bis dahin im Ausland gemachten Fortschritte wie etwa der FM Technik oder der negativen Bildmodulation bei maximaler Trägerleistung als Synchronimpuls. Der extreme Bandbreitenbedarf von 13,5MHz pro Fernsehkanal tat unabhängig vom technischen Signalaufbau sein übriges um einen mitteleuropäischen Einsatz dieses Systems im zusätzlich durch alliierte Verordnungen beengten VHF I + III Frequenzband gründlich und äußerst kritisch zu hinterfragen.

Philips-Niederlande – Die 567 Zeilen Pragmatiker

Als bisher weitgehend unbekannter, jedoch interessanter Lösungsansatz erweist sich der auch praktisch vorgeführte Vorschlag des international tätigen Unternehmens Philips in Holland:

1948 war deren Ansatz, das amerikanische 6 MHz Kanalraster als Maß der Dinge zu nennen, was Angesichts der noch bevorstehenden Frequenzknappheit in Europa auch einen sehr sinnvollen Lösungsweg dargestellt hätte:

Die Rechnung lautet: Die rund 4,2 MHz mögliche Videobandbreite der 525/60 Norm innerhalb des 6 MHz Kanalrasters sind auf die 50 Halbbilder umzurechnen:  4,2MHz bei 30 Vollbildern ergeben ~280.000 Bildelemente/Pixel pro Vollbild.

Bei rund 485 aktiven Zeilen und einem 4:3 Bildseitenverhältnis des amerikanischen Systems ergibt die Umrechnung eine vertikale brutto Zeilenzahl von 567 die sich aus der Einsparung der Übermittlung von 5 Vollbildern pro Sekunde im europäischen 50 Hz System ergibt. 

Dazu der Pressetext aus dem österreichischen Magazin „Funktechnik“ Heft 2 1948: 

https://www.scheida.at/scheida/TV_SEITE/philips_48_I.jpg

https://www.scheida.at/scheida/TV_SEITE/philips_48_II.jpg

2 Jahre später, im Sommer 1950 war auch dieses Thema bereits Geschichte, wobei nachvollziehbare Begründungen für die Ablehnung (bis jetzt) im Verborgenen blieben.

Pressebericht vom 11.08.1950:  (Öst. Zeitschrift Praktiker) [12]

"Fernsehbastlern in Holland wurde kürzlich bekannt gegeben, dass der holländische Fernsehsender für seine Versuchssendungen von 567 auf 625 Zeilen übergegangen ist. Ein solcher Wechsel der Zeilenzahl bedingt natürlich auch eine Änderung der etwa 400 in Betrieb stehenden Fernsehempfänger. Diese Anpassung an die neue Zeilenzahl bereitet keine großen Schwierigkeiten und kann in Holland fast durchwegs von den Besitzern der Geräte selbst durchgeführt werden, da es sich herausgestellt hat, dass 90 Prozent aller in Verwendung stehenden Geräte von Amateuren konstruiert und hergestellt wurden."

Für die gerätetechnische Vereinfachung der Empfänger wäre dieser Weg für Philips, einem weltweit agierenden Großkonzern sicher entgegenkommend gewesen. (weltweit baugleiche Tuner u. ZF Kreise etc.)   

Es kam aber anders wie diese Übersicht zeigt:

Die Zeitschiene im entscheidenden Zeilenendspurt der relevanten Nationen:

2. Nov. 1936 405/50 England Single Channel London (John Swift)

Juni 1938

441/60

USA RCA

6 MHz Kanalraster, 4,5 MHz Bild/Tonträger Abstand, Restseitenband,

Dezember 1940

441/50

UdSSR Nationaler Standard ОСТ 60-40

 

Juli 1941

525/60

USA 1. NTSC

 

1943/44

625/50

UdSSR

Ideenansatz/ Pflichtenheft GОSТ 78-45 ГОСТ 78 — 45

September 1945

625/50

Deutschland – UdSSR besetzt

Umarbeitung der amerikanischen 525/60 Anlagen auf 625/50 durch W. Bruch  (6/S32)

7. Juni/ 1. Sept.  1946

405/50

Großbritannien

TV Wiederaufnahme

15. September 1947

625/50

UdSSR

Vorstellung der Norm bei der CCIR Tagung und Radio Conference in Atlantic City durch Nowakowsky (6/S31)

18. März 1948 – Mitte 1950

567/50

Philips / Niederlande

Versuchssender 6MHz Raster

15. Mai – 11. Juni 1948

625/50

CSSR

Öffentliche 625 Zeilen TV Vorführung auf der Radio Ausstellung MEVRO Prag

22. September 1948

625/50

Deutschland

33 Deutsche Experten Einigung unter Werner Nestel in Hamburg  (11)

3. September/ 4. November/ 31. Dezember 1948

625/50

UdSSR

Sendebeginn Moskau Kanal R1 (9/S8)

20. November 1948

819/50

Frankreich

Normierung/Dekret

24. Juli 1950

625/50

CCIR-Konferenz (CCIR: Comité Consultatif International des Radiocommunications)

Die CCIR in Genf setzt als technische Grundlage für das europäische Fernsehen die "Gerber-Norm", das heißt 625 Zeilen pro Bild, fest. Diese Norm wird nach dem Vorsitzenden dieser Komitees und deren erfolgreichem Verfechter, Dr. Walter Gerber, Fernsehexperte der Generaldirektion der schweizerischen PTT, so benannt. (Formulierung)  (11)

März 1951

625/50

NWDR Deutschland

Nochmalige Selbstbestätigung des Nestel Expertenteams das 625/50 dem aktuellen technischen Stand entsprechen.

1950/51/52

625/50

Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, D-Ostzone

Versuchssendungen

1952

625/50 + 819/50

CCIR

Offizielle Annahme der 625/50 „Gerber“ Norm als Europäische Norm +  Frequenzkoordinierungen mit Erweiterungen des Bandes III auf ~230 MHz sowie der Freigabe von Band I für Deutschland.

Nicht ratifiziert von England + Frankreich

625 Zeilen - Neue Erkenntnisse aus Russland:

Wie sich aus dem Verlauf der Nachkriegspolitik der Supermächte generell herausstellte, hatten die UdSSR unter Stalin bereits ab der Kriegswende 1942/43 in Stalingrad damit begonnen sehr genaue Pläne für die Neugestaltung eines sowjetisch-imperialistisch regierten Nachkriegseuropas zu schmieden, währenddessen es den Nachkriegszielsetzungen der westlichen Supermacht nicht zuletzt durch den Tod Präsident Roosevelts zeitweilig an Konturen mangelte.

Diese Pläne betrafen vordergründig die politische Arbeit und Einflussnahme die in die 1948/49 vollendete Blockbildung mit Beginn des kalten Krieges mündete.

Fernsehtechnisch betrachtet

bedeutete dies die Erkenntnis, dass der alte Moskauer 343 Zeilen Dienst wie auch der eigentliche als Nationaler Standard Ende 1940 abgesegnete 441 Zeilen Dienst nun wieder von den USA, und das schon nur ein Jahr später, von einem neuen besseren Standard abgehängt wurde. Ein Umstand, der mit dem Anspruch der Sowjetunion die leistungsstärkste Nation werden zu wollen nicht akzeptabel gewesen sein kann. Der Gedanke war naheliegend, das die nunmehrige 525 Zeilen Norm vorauseilend den zukünftigen technischen Möglichkeiten weiterentwickelt, und als 2. Weltnorm parallel zur Amerikanischen gestellt werden musste. Zumindest dort wo die 50Hz Netzfrequenz sowie die sowjetische Einflusssphäre dies zulassen würde.

Die Voraussetzungen:

Wie auch in vielen anderen Bereichen innerhalb der UdSSR wurden Fachkräfte und Spezialisten ab der Kriegswende von der Front wieder zurückberufen. So erhielt Sergej Vasilevich Novakovsky – „Сергей Васильевич Новаковский“  Sergej Novakovsky - Nowakowsky Sowjetischer Fernsehspezialist - Erarbeitete mit Walter Bruch 1945 die 625 Zeilen Fernsehnorm 1943 den Auftrag, als Chefingenieur die Vorbereitung zur schnellstmöglichen Wiederherstellung der Einrichtungen des (1941 in den Ural nach Sverdlovsk –nunmehr Ekaterinburg evakuierte) Moskauer Fernsehzentrums voranzutreiben.  (Das Fernsehzentrum war zwischenzeitlich ein Rundfunkstudio für den Deutschsprachigen Auslandsdienst, dessen Sprecher unter anderem Wolfgang Leonhard – bekannt durch das Buch: „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ war, und in seinen Schilderungen auch dieses Fernsehzentrum erwähnt)

Zu den dienstlichen Vollmächten des Chefingenieurs des Moskauer Fernsehzentrums gehörte neben der Inbetriebnahme auch die perspektivische Zukunftsbetrachtung der Zeilenstandards.

Wieweit reale Vergleiche und Betrachtungen der Normen unter den Bedingungen der Kriegsjahre wie auch der einschneidenden Stalinistischen Restriktionen im Umgang Einheimischer mit Ausländern oder gar Auslandsreisen durchgeführt werden konnten ist nicht bekannt. Wie die Schriften zeigen hat aber Novakovsky entsprechende Möglichkeiten nutzen können.

Der 625/50 Anfang noch während des Krieges

1944 erscheint erstmals ein 64 seitiges Manuskript "Die Projektbegründung für den Fernsehstandard der UdSSR".

Hier findet sich zum ersten Mal die Empfehlung 625 Zeilen als neuen sowjetischen Standard zu übernehmen.

1944 wurde eine Kommission zusammengerufen, der aufgetragen war die grundlegenden Parameter des neuen Standards zu bestimmen.

Die Zusammensetzung der Kommission spiegelt die Initiatoren der System 625/50 Vorschläge am besten ab.

Die Mitglieder der Kommission waren A.J.Breitbart, V.N.Gorshunov, I.S.Dzhigit, J.I.Kassierer, S.I.Kataev, S.V.Novakovsky, und A.A.Raspletin. (А.Я. Брейтбарт, В.Н. Горшунов, И.С. Джигит, Ю.И. Казначеев, С.И. Катаев, С.В. Новаковский, А.А. Расплетин)

Die Kommission hat als Ersatz für den alten ОSТ 60-40 „ОСТ 60-40„ (441/50 Standard), 1945 den All Unions- National Standard GОSТ 78-45 „ГОСТ 78 — 45  (625/50 Standard) genehmigt, der dem Projekt den Status eines Gesetzes verlieh. Ratifizierungen erfolgten in den Folgejahren. (1/S-fortlaufend)

Hochrangige Köpfe haben aufgrund der katastrophalen Nachkriegsverhältnisse auf die Rückstellung der Fernsehtechnischen Arbeiten gedrängt.

Auf den endgültigen Beschluss zur Durchsetzung der Pläne jedoch, hat die Position des Staatsoberhauptes direkt eingewirkt, die aufgezeigt hat, dass der neue Standard das sowjetische Fernsehen auf viele Jahrzehnte bestimmt und Überlegungen nicht aus der gegenwärtigen Situation abgeleitet werden dürfen.

Mit Nachdruck wurde nunmehr auf die Umstellung des Moskauer Fernsehzentrums auf die neue Norm gedrängt und autark entsprechende Geräte wie Monitore, Taktgeber, Kameras und erste 625/50 Fernsehgeräte für die Serienfertigung (Moskwitsch T-1) Moskwitsch T1 Fernseher - Moskvitch T1 etc. entwickelt. Zwischen 1946 und 1947 wird auch auf die Arbeit des Entwicklungsingenieurs Mark Krivocheev an den ersten 625/50 Einrichtungen verwiesen und das bereits während seiner Hochschulzeit (8/S1).

1946 war in die Laboratorien des Forschungsinstitutes 108, das von V.N. Gorshunovym geleitet wurde, der Taktgeber, der die erforderlichen Impulse für den Standard 625/50 bildet hergestellt worden.

Es war die erste erfolgreiche technische Erarbeitung zum Bau der Apparate für den neuen Standard.

Die Sowjetisch – Deutsche Verbindung

Wie jedoch oben ausgeführt ist, war es Novakovsky der mit Walter Bruch ab September 1945 die 625/50 Norm „ausgeknobelt“ hatte, und System bestimmende Anlagen wie Taktgeber etc. in sein ihm unterstelltes Fernsehzentrum nach Moskau verbringen konnte.

„In (9/S6 – Lose nur auszugsweise Übersetzung) wird auf den Beschluss der Regierung verwiesen sich in der Tschechoslowakei und Deutschland an den Fertigungsstätten der ehemaligen Fernseh-GmbH nach Anlagenteilen umzusehen.

(Siehe dazu auch VTU - TELEVID

 + Arnstadt DDR

Wie in den oben angeführten Beiträgen ersichtlich ist hat man sich erfolgreich „umgesehen“.

Mit dabei waren unser bereits bekannter Nowakowsky sowie Salman , Krusser  und Rakowsky   (С. В. Новаковский, А. И. Сальман, Б. В. Круссер, В. В. Раковский)

Am 12. Oktober 1945 hat die Zeitung "Izvestija“ die Mitteilung veröffentlicht, wonach im „Ministerrat der UdSSR“ die raschest mögliche Umstellung des Moskauer Fernsehzentrums auf den 625 Zeilen Standard vorgesehen ist. In der Verordnung wurde auch über den Bau der Fernsehzentren in Leningrad und Kiew gesprochen, wobei auf den Einsatz „einheimischer“ Produkte wertgelegt wurde.“

Im November 1948 ging dann der neue Standard mit 16kW auf dem ersten Kanal im OIRT VHF Band I offiziell auf Sendung.

Von sowjetischer Seite aus betrachtet war die deutsche Ostzone – die DDR um 1950 der erste Importeur der OIRT 625 Zeilen Norm. –  (Ein weiteres Themenfeld eröffnet sich damit)

Offensichtliche eigenständige Entwicklungsarbeiten zum 625 Zeilen Vorschlag sind auch aus der CSSR - hervorgegangen aus der oben angeführten ehemaligen Televid bekannt. 

In oben angeführten sowjetischen Aufträgen war jedoch die Forderung nach einer autarken von Ausland unabhängigen Entwicklung seitens der Staatsführung wertgelegt worden.

1950 wurde einem Kreis der beteiligten Forscher der Sowjetische Staatspreis für den Titel "Ausarbeitung eines neuen Fernsehsystems mit einer hohen Auflösung von 625 Zeilen“ verliehen, was den Wert der Arbeit für die Sowjetunion wiederspiegelt.

Die Stalin Preisträger waren: Krejtser, Woronow, Migatschew, Kodess, Novakovsky, Lebedev-Karmanow, Brayde, Kasansky und Kuprijanow.

(В.Л. Крейцер, А.В. Воронов, В.И. Мигачев, П.Е. Кодесс, С.В. Новаковский, А.И. Лебедев-Карманов, Б.В. Брауде, Г.П. Казанский, Н.С. Куприянов.)

Die Deutschen Fernsehspezialisten in der UdSSR:

Erstmalig wird auch das Zusammenspiel sowjetischer Spezialisten mit Deutschen Fernsehtechnikern ersichtlich.

Während in den bisherigen offiziellen Dokumenten nur die Sowjetischen Forscher genannt wurden, sind nun auch die Namen der (freiwillig?) tätigen Deutschen Techniker bekannt:

Walter Bruch berichtet, das er selbst nur durch Zufall einer verbindlichen „Einladung“ in die UdSSR entkam und seine Arbeit für die Sowjets in Berlin im November 1946 endete.

In dieser Zeit waren auch die meisten wichtigen Deutschen Wissenschaftler im geschlossenen Forschungsinstitut 17 in Fryazino (Фрязино) bei Moskau zum Arbeiten eingeladen.

Dazu gehörte auch die Erörterung fernsehtechnischer Themen. Es soll sich um freiwillige Zusammenarbeit auf Vertragsbasis, teilweise samt Familienzuzug für die Dauer der jeweiligen Projekte gehandelt haben.

Erstmalig im Herbst 1991 hat der damalige gerade erst von der Hochschule ins Moskauer Fernsehzentrum kommende Jungingenieur und nunmehrige langgediente Professor Mark Krivocheev  (М.И. Кривошееву) sein Schweigen gebrochen und die Namen der maßgeblich mittätigen Deutschen offenbart:

Demnach wurde die Deutsche Gruppe von I. Gunter (И. Гюнтер) geleitet.

Die Kameraentwicklung oblag W. Gofman (В. Гофман)

Synchronisation und Abtastung: G. Ziegel (Г. Зигель)

Filmabtaster und optische Belange: Z. Zschau (З. Чау) - vor, während des Krieges und nach der Rückkehr aus Moskau bis zur Pensionierung bei der Fernseh GmbH Darmstadt beschäftigt

Allgemeine Zusammenstellung und Konstruktion der Apparate: A. Matske  (А. Матцке)

Kontrolle und Messungen: F. Legler (Ф. Леглер)  (1/S-fortlaufend) - vor, während des Krieges und nach nach der Rückkehr aus Moskau bis zur Pensionierung bei der Fernseh GmbH Darmstadt beschäftigt

 

Es müsste sich dabei eigentlich auch teilweise um ehemalige Kollegen Walter Bruchs gehandelt haben.

Ein weiterer Puzzlestein der europäischen Fernsehgeschichte ist damit eingefügt.

Die neue Norm – Das Resultat:

Die Karte zeigt die Situation nach 1965 nachdem die Umstellung der vorerst isoliert arbeitenden 819 und 405 Zeilen Länder auf 625/50 erfolgt ist und auch viele Länder die Anfang der 1950er Jahre noch gar kein Fernsehen hatten.

(Anmerkung: Als das letzte Land der Erde bekam das Königreich Bhutan 1995 sein Fernsehen im 625/50 Standard)

Bildnachweis:  https://www.stjarnhimlen.se/tv/TVLinesMap.gif

Das 525 Zeilen System benützen die Wirtschaftsmächte: USA, Kanada, Japan und Südkorea, sowie Südamerika Mexiko und Brasilien nebst anderen.

Europa, Afrika, Asien mit China und Indien, die Arabische Welt sowie Russland und die GUS mit Australien rastert mit 625 Zeilen.

Das 625/50 System bedient zwischenzeitlich mehr als die Hälfte der Menschheit. Es ist der größte Beitrag der früheren UdSSR mit Russland an die weltweite Fernsehgemeinde.

Fazit:

Es treffen zwei Behauptungen aufeinander:

  1. Die Aussage Walter Bruchs – er habe „erst“ 1945 in einem allgemeinen nicht Detail spezifizierten Auftrag für die Sowjetunion mit seinem vorgesetzten sowjetischen Oberst der zugleich der Leiter des Moskauer Fernsehzentrums war, rein zufällig IN DEUTSCHLAND die 625/50 Rasternorm wie auch den OIRT Sendestandard kreiert.
  2. Das sowjetische Normengremium das bereits 1944 ein Weißbuch für die auszuarbeitende 625/50 Norm ausgab.

Leider konnten die sowjetischen Unterlagen noch nicht eingesehen werden, wiewohl es einen Hinweis gibt der auf deren mögliche Vorkriegsarbeit hinweist:

Auszugsweises Zitat aus  Mozartturm . de vom 21.08.2000

"Die CCIR-Norm, auch GERBER-Norm genannt, wurde von den RUSSEN entwickelt.    

In unserem Turmarchiv haben wir noch die Unterlagen der Firma TELEVID und des Entwicklers IOVARNA SMRZOVKA. Das Unternehmen wurde aus der  früheren FERNSEH GMBH in OBERTANNWALD von den Russen gebildet. Wir haben die Arbeitsunterlagen der Fernsehnorm vom 24.10. 1945. Erstaunlicherweise hatte man damals 3  Qualitaetsklassen vorgesehen, und zwar mit Bandbreiten von 0 - 4 MHz, von 0 - 5 MHz und 0 - 6 MHz. Realisiert wurde 0 - 5  MHz.  .......

Der Aufbau des TV-Signals mit BILD, Ton, Austastluecke,  Synchronisierung,  Vor-und  Nachtrabanten ist nahezu dem heutigen Signal gleich. Die Russen hatten ganz eindeutig der Schwarzsteuerung hohe Aufmerksamkeit geschenkt, um ein flaues Bild durch NACHLEUCHTEN des Bildroehrenphosphors zu reduzieren. Es durfte also der "Kanone" (Elektronenstrahlerzeugung)  keinerlei Steuerung zugefuehrt werden im SCHWARZ........"

Meiner Bitte um Kopie/Einsichtnahme in diese sensationellen Akten durch den Redakteur des Mozartturm Archivs Herrn Tropp wurde wiederholt aus administrativen Gründen nicht entsprochen, was diesem Text, da er in sonst keinem fernsehtechnisch relevanten Zusammenhang steht nur bedingt eine Referenzwertung zukommen lässt.   

Noch offene Ungereimtheiten - Eine Erklärung:

Dem damaligen sowjetisch stalinistischen Prinzip liegt zugrunde, das Informationen jeder Art nur hierarchisch von oben nach unten in immer kleinerem Umfang weitergereicht werden.

Jeder sollte nur soviel wissen als dies unbedingt für die Durchführung der jeweiligen Arbeit erforderlich war.

Gleichermaßen muss dies bei einer Zusammenarbeit mit ehemaligen Kriegsgegnern gegolten haben.

Es erklärt sich daraus die Möglichkeit, das Walter Bruch mit seiner Gruppe tatsächlich isoliert und in Unkenntnis zu parallelen Arbeiten die Anpassungen der 525er Geräte vornahm, während er in homöopathischen Dosen vom Sowjetoberst und zugleich Chefingenieur des Moskauer Fernsehzentrums die grundsätzliche Ausrichtung bestätigt bekam.

Des weiteren spricht Walter Bruch von „Studio Ausrüstungen“, bei denen tatsächlich die Zeilentaktfrequenz als Maß der Dinge erscheinen.

Eine Orientierung an einer vordefinierten HF Bandbreite wie der eingeschlagene Philips Weg kann also zuerst tatsächlich unberücksichtigt geblieben sein.

Wie obiges Rechenbeispiel zeigte, ergibt sich also bei der Annahme der Zeilenrasterfrequenz als Fixpunkt zwangsläufig das 625/50 Raster. Die ideale auch rechnerische Ableitbarkeit über die Verkopplung mit der 50Hz Netzfrequenz (siehe unten) tat ihr übriges.

Kann es wirklich der einmalige Zufall gewesen sein, dass das westliche Europa zum gleichen Resultat in der Normenfindung wie die Sowjetunion kam?

Oder war der Sowjetische Ansatz so einleuchtend das er als logische Konsequenz auf der Hand lag?

625 Zeilen - Welche Alternativen hätte es für Europa gegeben?

Eine nochmalige Teilung Europas die nach Frankreich und Großbritannien nun auch die Sowjetunion mit Ihren ab 1948 ersichtlichen kommunistischen Blockpartnern betroffen hätte wäre die Folge gewesen.

Neben der bereits bestehenden  405, (441), 625 und 819 Zeilen wäre möglicherweise ein weiteres Raster hinzugekommen.

Die 400 Zeilen Systeme schieden aus genannten Gründen aus.

819 Zeilen waren ebenfalls im beengten VHF Band I + III schwer unterzubringen insbesondere wenn man Deutschland nicht isoliert betrachtet, sondern die Notwendigkeit einer genauen Frequenzabstimmung in Zusammenarbeit mit seinen vielen Nachbarn die auch kurz davor waren Fernsehsendenetze aufbauen zu wollen berücksichtigt.

Für einen späteren Programmaustausch war eben eine EUROPÄISCHE Einheitsnorm gewünscht, der sich laut geplanter Absicht Länder wie die Niederlande, Skandinavien etc. angeschlossen hätten und ab 1952 auch haben.

Für Deutschland gilt erschwerend noch der Faktor das die Deutsche Ostzone zwangsläufig das System des Sowjet Blocks annehmen werde (müssen). Einem gewünschten und damals bedeutenden Propaganda und Programmeinfluss aus dem Westen hinein in die Ostzone, im Sinne einer beabsichtigten Wiedervereinigung wäre mit 2 unterschiedlichen Zeilenstandards möglicherweise ein Strich durch die Rechnung gemacht worden.  

Und so kam es wie es kommen musste -  Zuerst war der sowjetische 625/50 Fuß in der Europäischen Tür mit der Eröffnung des Moskauer Sendebetriebes und dann folgte deren Einführung in ganz Europa. Es ist jedoch noch nicht gelungen aus diesem Vorstoß eine tatsächlich geplante medien- oder wirtschaftspolitische Motivation zwecks Einflussnahme auf Europa abzuleiten.    

Exkurs:

Der Amerikanische Einfluss auf das europäische Nachkriegsfernsehen  -

Einmal mehr darf die USA als Pate vieler wesentlicher Eckpfeiler der späteren globalen Fernsehtechnik gesehen werden. (England und Frankreich waren in vielen Fernsehrelevanten Bereichen bis in die 1960er Jahre autark)  

  1. Es sind dies einmal das Ikonoskop das noch vor dem Krieg über die Telefunken – RCA Verbindung nach Europa kam, und zeitgleich durch persönliche Reisen von Emigranten Vladimir Zworykin in der UdSSR im Rahmen der RCA- UdSSR Vertrages eingeführt wurde.
  2. Es sind dies die Normdefinition des Videosignalaufbaues sowie der Synchronsignale des 1. NTSC Systems von 1941.
  3. Es sind dies der Einsatz des damals neuen FM Systems für die Fernseh-Tonübertragung
  4. Es sind dies das Farb – NTSC System von 1953 das auch beim späteren SECAM und PAL die Grundlage darstellt, während die neuen Systeme selbst nur (jedoch entscheidende) Feinheiten und Abwandlungen beinhalten. 

Dabei kommt in diesem Fall anerkennend das kapitalistisch gewinnorientiert ausgerichtete Wirtschaftssystem der USA auch in der Forschung der RCA Labors mit den großzügig ausgestatteten Etats unter der straffen Leitung von David Sarnoff zur Geltung. Selbstverständlich waren auch viele weiter Unternehmen wie etwa die Bell Telephone Laboratories konkret für den 525 Zeilen Vorschlag verantwortlich (7/S296). 

Auch in Europa bereits bekannt und im 1. NTSC System implementiert:

·        Das Restseitenbandverfahren (Begrenzung eines Videosignal Seitenbandes zur Erhöhung der Frequenzökonomie)


Der technische Aufbau der US TV Norm

US TV VHF Kanalraster Frequenzraster nach 1948

 

Das 1. NTSC (National Television System Committee) System von 1941:

(War die Ausgangsbasis, ist jedoch NICHT ident mit dem NTSC Farb System von 1953!)

 

    
 

 
Der abgeleitete weitgehend idente 625/50 Standard 
in der sowjetisch geprägten OIRT und der 
Mitteleuropäischen CCIR-„Gerber“ Norm.

 

Die Breite eines Fernsehkanals soll 6 MHz betragen
 
NTSC - FCC US Fernsehkanal Bandbreite
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
1
Die Breite eines Fernsehkanals soll 8/7 MHz betragen
 
 
 
Die Bildträgerfrequenz soll 4,5 MHz unter dem Tonträger liegen
2
Die Bildträgerfrequenz soll 6,5/5,5 MHz unter dem Tonträger liegen
Die Zahl der Bildzeilen soll 525 betragen, die Vollbildfrequenzen 
bei 30 Bildern/Sekunde und die Halbbildfrequenz bei 60 Bildern/ Sekunde
3
Die Zahl der Bildzeilen soll 625 betragen, die Vollbildfrequenzen 
bei 25 Bildern/Sekunde und die Halbbildfrequenz bei 50 Bildern/ Sekunde
Amplitudenmodulation für Bild und Synchronsignale
4
Amplitudenmodulation für Bild und Synchronsignale
Negativ Modulation (Geringere Lichtstärke führt zu höherer Sendeleistung)
5
Negativ Modulation (Geringere Lichtstärke führt zu höherer Sendeleistung)
 

Zeilenaufbau nach dem 1. NTSC US Fernsehstandard   Allgemeiner Zeilenaufbau nach dem US 1.NTSC Standard

Zeilenaufbau nach der CCIR Gerber und OIRT Fernsehnorm

Detaillierter Aufbau der CCIR  "Gerber" sowie OIRT Aufbau

 

Aufbau des Horizontalen Zeilensynchronimpulses nach der CCIR Norm

CCIR - Horizontaler Zeilen-Synchronimpuls mit Zeitangaben

 

Mitsenden der Gleichstromkomponente 
(Schwarzpegel auf 75% der Spitzenträgeramplitude)
 
6
Mitsenden der Gleichstromkomponente 
(Schwarzpegel auf 75% der Spitzenträgeramplitude)
 
FM Tonsignalübertragung mit +-75kHz Hub bei 100µs Vorentzerrung
7
FM Tonsignalübertragung mit +-50kHz Hub bei 50µs Vorentzerrung
Horizontale Polarisierung der HF Aussendungen
8
Horizontale Polarisierung der HF Aussendungen
Definierung der Zeilensprungsynchronsignale (Vor/Nachtrabanten)
9
Definierung der Zeilensprungsynchronsignale (Vor/Nachtrabanten)
 
Fernseh Gleichlaufimpulse - Vor und Nachtrabanten - Vertikalsynchronisierung

 

Synchronsignale auf 100% der Trägerleistung
 
10
Synchronsignale auf 100% der Trägerleistung
Mitdefiniert wurde die zulässige Dauer einer Zeile  
11
Mitdefiniert wurde die zulässige Dauer einer Zeile
Der Aufbau des Synchronsignals mit vorderer und hinterer Schwarzschulter
12
Der Aufbau des Synchronsignals mit vorderer und hinterer Schwarzschulter
Festlegung des Bildformats  (4 zu 3)
13
Definierung des Bildformats  (4 zu 3)
 

Andere wesentliche Unterschiede des Signalaufbaues bei gleicher Zeilenzahl die dennoch auf eine Emanzipierung hingedeutet hätten wären gewesen: 
(Teilw. in Sondernormen verwirklicht – siehe Belgien)
Alternativvariante: Doe positiv Modulation beim Fernsehen:   Positive Videomodulation Frankreich Norm L 
1.      AM Ton
2.      Positiv Modulation 
3.      Synchronsignale auf  3% der Trägerleistung
4.      Synchronimpulse in FM Übertragung
5.      Anderes Bildformat (z.B.: 4,12 zu 3 wie bei der 819 Zeilen Norm)
Das die oben angeführten Varianten bei den bis heute hauptsächlich verbreiteten Standards NICHT eingesetzt wurden deutet auf die fortgeschrittene Ausreifung des 1. NTSC Vorschlages hin.

Zahlenspiele - Wie definieren sich die Zeilenzahlen? 

  1. Zur zuverlässigeren Wiedergabe des 2:1 Zeilensprungverfahrens ist eine ungerade Gesamtzeilenzahl erforderlich
  2. Die Wahl der Zeilenzahl liegt begründet in der technischen Erzeugung und der Abhängigkeit der entsprechenden Ablenkfrequenzen zueinander mit Hilfe von Teilungsfaktoren (Sychnronimpulsgenerator - Taktgeber)
  3. Es sollte möglichst eine Systemkopplung mit der jeweiligen Netzfrequenz vorhanden sein.

Anmerkung: Was heute ein Computerchip erledigt benötigte seinerzeit ganze Schaltschränke voller Elektronik

 Zeilenzahl/ Netzfrequenz  + mögliche Teilungsfaktoren:

343/60 und 343/50 =     7 x 7 x 7

375/50  =    5 x 5 x 5 x 3  Durch Faktor 5 leichtere Verkopplung mit der Netzfrequenz herstellbar

405/50  =    9 x 5 x 3 x 3  Durch Faktor 5 leichtere Verkopplung mit der Netzfrequenz herstellbar

441/50  =    7 x 7 x 3 x 3

441/60  =    7 x 7 x 3 x 3  Durch Faktor 3 leichtere Verkopplung mit der Netzfrequenz herstellbar

455/50  =     5 x 7 x 13  Durch Faktor 5 leichtere Verkopplung mit der Netzfrequenz herstellbar

525/60   =    7 x 5 x 5 x 3  Durch Faktor 3 leichtere Verkopplung mit der Netzfrequenz herstellbar

567/50  =    9 x 7 x 3 x 3  

605       =     5 x 11 x 11    Durch Faktor 5 leichtere Verkopplung mit der Netzfrequenz herstellbar

625/50  =    5 x 5 x 5 x 5  Durch Faktor 5 leichtere Verkopplung mit der Netzfrequenz herstellbar

819/50  =    3 x 3 x 7 x 13

 

Quellen/ Literatur:

  1. 625-net.ru/archive/0798/9.htm (russisch) - 2022 nicht mehr abrufbar

  2. W. Bruch: Die Fernseh-Story / Franck’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1969

  3. W. Bruch: Kleine Geschichte des deutschen Fernsehens Haude & Spenersche  Verlagsbuchhandlung Berlin, 1967

  4. PAL - Das Farbfernsehen  - Heide Riedel

  5. Fernsehen - Von der Vision zum Programm; Heide Riedel

  6. Walter Bruch - Ein Deutscher Fernsehpionier; FKTG 1988

  7. Buch: Die Geschichte des Fernsehens; Abramson  - Wilhelm Fink Verlag

  8. EBU Technical Review – Spring 1993 Portrait of M.I. Krivocheev

  9. 625-net.ru/archive/0405/history.htm  (russisch) - 2022 nicht mehr abrufbar

  10. nhk.or.jp/strl/aboutstrl/evolution-of-tv-en/p05/index.html - 2022 nicht mehr abrufbar

  11. Funk Technik S.257, Heft 10/1951 vom österreichischen Verlag Alfred Sockel, Pfeilgasse 2 1080 Wien

  12. Pressebericht vom 11.08.1950 aus der österreichischen Zeitschrift Praktiker

 

 Ó 7/2006 Wolfgang Scheida /Wien 

Offene Fragen:

  1. Wozu bedurfte es einer besonderen Vermittlung Gerbers bei der CCIR wenn die Standards ohnehin klar waren?
  2. Warum spielte der Philips 567 Zeilen Vorschlag keine tragende Rolle?
  3. Warum sind 525 Zeilen/50Hz nicht als Vorschlag überliefert?
  4. War es lediglich das 7 MHz Kanalraster mit 5,5MHz Tonträger anstelle des 8 MHz Rasters? 
  5. Was wären die Alternativen gewesen?
  6. Gibt es einen Nachweis für die sowjetische 625/50 Systemvorstellung auf der CCIR Tagung in Atlantic City 1947?
  7. Erfolgte die Ton- Bildträger Abstandsänderung laut Walter Bruch in der DDR von 6,5 auf 5,5 MHz tatsächlich erst 1964? (4/S61)
  8. Es sollen aus Italien Ansprüche auf die Entwicklung der 625/50 Norm noch in den 1940ern erhoben worden sein.
  9. Herr G. Poetschke sendet mir dankenswerter Weise folgenden Hinweis der zur 625 Zeilen Historie eine weitere Ansatzquelle liefert: (Artikel "Ou en est la television? -le recents progres realises et leur developement-" von Pierre Hemardinquer in "La T.S.F. POUR TOUS", August 1942, S. 124.)
F_1942_625Zeilen Sinngemäß: "Unter Erweiterung des Frequenzbandes, nach Analyse von 441 Zeilen, ist daher vielleicht der Wechsel  zu 625 Linien ohne Unannehmlichkeit möglich, denn dieser erlaubt die Übertragung von Bildern großer Fläche "

Updated: 13.02.24 Designed by Fernsehhistoriker W. Scheida/Wien zu www.scheida.at gehörend