Über die Zeit nach dem wirtschaftlichen Zenit der Reparaturbranche im Radio-und Fernsehtechnikergewerbe, aber noch vor dem Aufkommen der totalen Wegwerfgesellschaft erzählt nachstehender Artikel ein nicht unwesentliches Detail aus dem Alltag eines Radio- und Fernsehtechnikers......
Im Alltag bin ich fallweise kopfschüttelnd mit Technikern verschiedenster Gewerke konfrontiert, die mit ihren umgeschnallten "Leatherman" Universalwerkzeugen so gut wie alles "reparieren, warten und servicieren".
Der klassische Handgriff am Servicekoffer wurde dabei durch das Halten des Smartphones ersetzt. Davon lässt sich zumeist dann auch deren Leistungstiefe ableiten.
So erinnert mich dies an die Zeit, als der gut sortierte Servicekoffer Pflicht bei der TV Service Kundendienstausstattung war (Und auch noch heute bei ernsthaften engagierten Technikern ist).
In meinem Fall spreche ich von Mitte der 1980er Jahre, wo mir als Radio- und TV Techniker Lehrling "freiwillig und unaufgefordert" die laufende Nachbestückung dieses Koffers oblag, und Trinkgeldverlust durch den Gesellen drohte wenn wirklich jüngst verbrauchtes Material vergessen wurde nachzubestücken.
Ein weit verbreiteter Alu-Aufklappkoffer war im unteren Bereich mit allerlei Kunststoffboxen gefüllt, die die üblichen für den TV Service erforderlichen Standardbauteile wie Widerstände, Kondensatoren und auszugsweise genannt die BU208 Transistoren für die Philips K9 Chassis, nebst "Ost-West" Dioden für die Grundig Fernseher und der obligatorischen grünen Hochspannungskaskade beinhaltete. Auch ein Stück Drahtrolle für das Philips K12 Chassis mit seinen abgebrannten Modulfassungen war unerlässlich.
Bild: Typische grüne Hochspannungskaskade für die Philips K9 Farbfernseh-Chassis, Hier als Originalware - zumeist aber als Nachbau OEM Fabrikat geliefert
Im oberen Klappfach befand sich handelsübliches Elektronikerhandwerkszeug. Als Sonderwerkzeug befand sich lediglich ein längerer Kreuzschraubenzieher für die TV Rückwände darin. Der serienmäßige ERSA 30 Lötkolben war seines geerdeten Anschlußkabels da schon beraubt worden und ist durch ein zweipoliges 5 Meter Kabel ersetzt gewesen. Damit der Chef auch bei eingeschaltetem Gerät den Print nachlöten kann. Jahre später, nicht mehr im Reparaturalltag stehend, konnte ich ihn auch nachvollziehen, als ich, auf Nummer sicher gehend, natürlich die geerdete Version versehentlich bei einem Philips TV ins Netzteil hielt....
Damit der heiße Lötkolben nach dem Einsatz gleich wieder eingepackt werden konnte war ein Alu-Vierkant als Aufnahme für die Heizkartusche im Koffer eingeklebt.
Für die "üblichen Verdächtigen" an Fehlerquellen die tatsächlich beim Kunden behoben werden konnten reichte der Koffer auch fast immer aus.
Sonderfällen jedoch wurde dann noch mit dem "B&O" oder "Luxor Koffer" mit markenspezifischen Modulen begegnet.
"Heute brauchen wir noch den B&O Koffer mit..." hieß es dann.
Ebenso für NordMende, wobei viele Hersteller, zumeist in Verbindung mit Serviceseminaren diese Koffer mit Modulen der jeweils aktuellen Chassisgeneration zu Sonderkonditionen den Vertragswerkstätten überlassen hatten.
Der "Grundig Koffer", als Nicht-Vertragshändler jedoch wurde selbst zusammengestellt:
Bild: Der Grundig Koffer für die Bausteinchassis wie er denn hätte sein sollen - Bei uns gab es aber nur ein Billa Einkaufssackerl voller ausrangierter Module davon...
Ein Billa Plastiksackerl vollgefüllt mit allen in der Werkstatt herumliegenden Horizontalendstufen Thyristor Vorlauf- und Rücklaufmodulen der "Baustein" Serie, auszugsweise dem Chassis GSC-600, die dann empirisch am lebenden Objekt vor Ort getauscht wurden bis "endlich Ruhe" war. (Diese Ruhe hielt leider nie sehr lange und der Kunde rief wieder an...).
Bild: "Keine Ruhe" ließen einem die "wie ein Safe" aufgebauten Grundig Baustein Module der SM Chassis Reihe Super Color 80 - Das an der (aufwendigen) Modulbausteinthematik schon andere wie etwa EUMIG beim TV310 kläglich gescheitert war hat sich da wohl nicht mehr herumgesprochen gehabt.
Rechtes Bild © Grundig Technische Informationen
Sehr selten kam auch noch der "Röhren-Koffer" ins Auto. Damals schon immer sehr lieblos in der Werkstätte behandelt und mehr und mehr kannibalisiert worden, waren zumindest die PL509, PY500, GY501 und PCF200 etc. für auszugsweise die Philips K7 Chassis darin, bzw. wurden im Anlassfall "just in time" in letzter Minute vor der Abfahrt noch zusammengesucht und hinein gegeben.
Bild: Ein Röhrenkoffer wie er hätte sein sollen..... aber nicht war am Beispiel eines originalen Philips Röhrenkoffers
Ebenso eher selten waren die Hersteller- und Chassisspezifischen Fehler-Diagnoseadapter on the road.
Anders verhielt es sich jedoch mit dem Antennenmeßgerät was aber ein eigenes Thema wäre.
Bild: Der Nordmende Full-Check 25 als Beispiel für einen Diagnoseadapter, der mit seinen roten LED's oder hier einem Zeigerinstrument gleich anzeigte woran es lag... oder eben auch nicht...
Das Herumtragen von Oszillografen, Trenntrafos und Testgeneratoren zum Kunden kenne ich aus der Regel-Praxis aber nicht.
Bildauswahl:
Anbei eine kleine Collagean TV Servicekoffern
Zusammenstellung an TV Servicekoffer der 1950er bis 1980er Jahre
Diverse Verkaufsangebote von Koffern 2000-2017
Grundig Technische Informationen; Heft 2/79 zum SM Bausteinchassis Super Color 80
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Updated: 11.11.24